
Grafik: kk
Wenn eine Steinstatue plötzlich zu laufen beginnt, dann sorgt sie für große Verwirrung.
Im Wald über der kleinen Stadt lebte ein Bildhauer mit Namen Matthias. Der besaß eine kleine Hütte, einen Stapel Papier, ein paar Bleistifte und sein Bildhauerwerkzeug. Matthias strich durch den Wald, skizzierte die Märchengestalten, die er sah. In seiner Hütte zeichnete er die Figuren ins Reine, dann setzte er sich an den Steinblock und meißelte so lange, bis er die Märchenfigur geschaffen hatte.
Fee in buntem Blätterkleid
Die Leute in der kleinen Stadt liebten die Statuen des jungen Bildhauers. Wenn er eine verkaufte, hatte er wieder Geld für ein paar Monate, denn er lebte bescheiden. Eines Abends, es dämmerte schon, sah er eine Fee im bunten Blätterkleid durchs Unterholz huschen. Matthias sah sie nur ganz kurz, aber das reichte. Er war so gebannt, dass er das Zeichnen vergaß. Er hatte sich die Fee so genau eingeprägt, dass er zu Hause sofort Hammer und Meißel nahm und sie in Stein neu erschuf – mit einem bunten Kleid, das er ihr aufmalte. Matthias wusste, dass es nur eine Statue war – aber er hatte sich richtig in sie verliebt.
Ein Zauberer ist matschig im Kopf
Nun gab es sich aber zu dieser Zeit, dass der Zauberer Hermann Stolperfuchs mit seiner Frau Elisabeth auf seinem Teppich an der kleinen Stadt vorbeiflog. Der Zauberer hatte einen furchtbaren Schnupfen und war so matschig im Kopf, dass er sich an keinen Zauberspruch mehr erinnern konnte. Vor allem nicht an den gegen Stockschnupfen. Darüber war Hermann Stolperfuchs stocksauer. Noch mehr ärgerte er sich über seine Frau, die ihm zu wenig Tee gekocht hatte. In der Nähe der kleinen Stadt war erst die Hälfte der Reise vorüber, aber die Thermoskanne leer. Als der Zauberer sah, dass nur ein paar Tropfen aus der Kanne in seinen Becher tröpfelten, geriet er derart in Wut, dass er lauthals fluchte.
Du sollst nicht fluchen
Nun sollte man überhaupt nicht fluchen, und Wut ist ein schlechter Berater. Und wenn man ein mächtiger Zauberer ist, sollte man schon gleich zwei Mal auf seine Sprüche achten. Sonst passiert ein Unglück – und genau das geschah: Hermann Stolperfuchs vermischte, ohne es zu merken, gleich drei Sprüche. Das Ergebnis war fatal: Seine Frau Elisabeth verwandelte sich in ein Blütenmeer, das auf die Erde herabregnete. Und ihre Seele fuhr in die Sta- tue in der Hütte des jungen Bildhauers. Die Statue erzitterte kurz, wackelte bedenklich hin und her und erstrahlte hell in einem grünen Licht. Dann stand sie wieder still. Ein paar Tage später war Vollmond. Plötzlich, um Mitter- nacht, stieg die Statue von ihrem Sockel, riss sich die Wolldecke von Matthias’ Bett und hängte sie über ihren Kopf.
Die Statue kommt, die Statue geht
Der junge Bildhauer erwachte und starrte auf die Statue, die jetzt die Tür öffnete und in die Nacht verschwand. Matthias blieb wie versteinert im Bett sitzen – nach einer Stunde ging die Tür wieder auf und die Statue kam zurück, warf die Decke auf das Bett, stieg auf den Sockel – und erstarrte wieder. Das Ganze wiederholte sich bei jedem Vollmond. Ansonsten war die Statue zu keiner Regung zu bewegen, da konnte Matthias tun, was er wollte.
Der Bürgermeister bleibt stur
Er ertrug es bald nicht mehr, die Statue zu sehen, die sich ein Mal im Monat davonschlich. Er verkaufte sie an den Bürgermeister der kleinen Stadt. Und der stellte sie auf die Säule des Marktbrunnens. Das gab ein bisschen Streit, weil die Statue mit dem sehr bunten Rock manchem nicht gefiel – vor allem, weil sie direkt vor der Kirche stand. Aber der Bürgermeister blieb stur. Beim nächsten Vollmond geschah es: In die Statue kam Leben, sie stieg vom Brunnen herunter und lief den Marktplatz hoch, durch das Stadttor und in den Wald hinein. In diesem Moment kamen der Architekt Bernd Süßholz und Haupt- wachtmeister Klaus Stockfisch aus dem Weinhaus – und trau- ten ihren Augen nicht. Da lief tatsächlich die Statue in dem bunten Kleid über den Marktplatz. Hatten sie doch zu viel Wein getrunken? Hauptwachtmeister Stockfisch hatte immer eine Trillerpfeife dabei. Er setzte sie an die Lippen und pfiff schrill – aber die Statue lief weiter.
Sofort die Statue verhaften!
Hauptwachtmeister Stockfisch alarmierte das Polizeirevier. Die Polizei stellte sich heimlich an der Stadtmauer auf – und wirklich, nach einer Stunde kam die Statue im bunten Rock zurück. »Verhaften!«, schrie Hauptwachtmeister Stockfisch, seine Kollegen stürzten sich auf die Statue. In diesem Moment flog der Zauberer Hermann Stolperfuchs auf seinem Teppich über der kleinen Stadt vorbei. Er sah die Statue, die sich bewegte – und verstand sofort, was da passiert war. Sein Kopf war wieder frei, er hatte keinen Schnupfen mehr. Sofort machte er die drei Zaubersprüche von damals rückgängig und er zauberte die Seele seiner Frau wieder aus der Statue heraus und den Körper seiner Frau aus dem Blütenmeer zusammen.
Ein wenig Tee, Liebling?
Auf dem Teppich fragte Elisabeth ihren Mann, als sei nichts gewesen: »Willst du ein bisschen Tee?« »Um Gottes willen!«, antwortete Hermann Stolperfuchs und musste schon wieder niesen. Die Polizei verhaftete die plötzlich bewegungslose Statue, die mitten auf dem Marktplatz erstarrt war – aber sie saß nur im Gefängnis und bewegte sich nie wieder. Was alle sehr verwirrte.
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